Musik im Raum
extended voice
Der bewusste Umgang mit dem Aufführungsraum gehört zum Kern der musikalischen Arbeit des Ensembles. Akustische, visuelle, theatralische und atmosphärische Momente bilden das Material der Komposition, wobei die Besonderheit der Maulwerker darin besteht, dass natürliche, artifizielle, zufällige und konstruierte Gegebenheiten als gleichwertige Parameter in die Komposition eingehen.

In der ersten Hälfte der 90er Jahre erarbeitete Dieter Schnebel zusammen mit dem Ensemble die Museumsstücke und das damit verwandte MoMA, Werke, in denen Schnebels Musik eine außergewöhnlich dichte Verbindung von Stimme, Klang und Aufführungsraum erreicht hat, da die Wanderung der Klänge und Laute im Raum die Konstruktion des Stückes bestimmt.

Die Erfahrungen aus der Arbeit mit Schnebel bildeten eine Basis für die in den folgenden Jahren entstandenen, höchst unterschiedlichen Projekte und Kompositionen einzelner Ensemblemitglieder, sowie für verschiedene Ensemblearbeiten, die immer wieder je nach räumlicher Situation neu bearbeitet und weiterentwickelt werden.

MUSIKALISCHE ARCHITEKTUR

Christian Kestens parochial (1998) erweitert den Aspekt des Raumes um die Perspektive von Innen und Außen. Die 70minütige Raumkomposition arbeitet zusätzlich zu den Stimmen der Maulwerker mit drei Bläserstimmen, die meist außerhalb des Raumes spielen und so die akustische Wahrnehmung über die gesetzten architektonischen Wände hinaus erweitern.
Henrik Kairies´ Raumdeutung (1997) ist ein im Aufbau traditionelles Stück, in dem verschiedene Arten räumlicher Klangwirkung untersucht werden. In einer technischen Weiterführung traditioneller Kanonpolyphonie werden die Stimmen von einem Akkord zum anderen auch räumlich „überblendet“. In einer ähnlichen Aufbereitung des Materials „Raum-Stimme“, aber in einer vollkommen anderen kompositorischen Präsenz aktualisiert Makiko Nishikaze in ihren Werken oratio und M.M. den Aufführungsraum. Durch eine sparsame, von der Konzentration traditioneller japanischer Musik inspirierte Choreographie werden die Aufführenden selbst Teil der musikalischen Architektur.

Parallel zur Arbeit mit der Überlagerung von räumlicher und akustischer Architektur gibt es eine Reihe von Stücken der „Maulwerker“ und aus ihrem Umfeld, die gezielt, „den Raum bespielen“ und zum Teil auch mit dem bespielten Raum identisch sind, indem sie seine Hörbarkeit aufzeigen.
Auf der Grenze zwischen musikalischer Architektur und klingend gemachtem Aufführungsort befindet sich Katarina Rasinskis Eiszeit. Die Materialdisposition der Komponistin ist eine klanglich und zeitlich in einem Raster determinierte Improvisations- und Bewegungsvorgabe. Der Aufführungsraum wird langsam, kontinuierlich durchquert, und die Zuhörer werden Reihe für Reihe „überrollt“.

AUSSERGEWÖHNLICHE RÄUME

Christian Kesten komponierte in den späten 90er Jahren eine Gruppe von Stücken, die den Bahnhof als Fokus musikalisierbarer Prozesse „bespielen“, so in nordbahnhof (1996), bahnhof westend (1996), bahnhof zoo (1997) und willkommen zu hause (1996).
Ein frühes und extremes Beispiel für experimentelles Arbeiten mit Musik im Raum ist sub.- Musik für einen Keller von Christian Kesten, Barbara Thun und Tilmann Walzer (1991), in dem als zusätzlicher Faktor die Dunkelheit Eindrücke extremer Nähe (Berührung) und extremer Distanz (kaum noch hörbar) zu Musik werden lässt.
Auf einen konkreten Ort beziehen sich auch Kestens LIFT (2005) für vier Performer in drei Fahrstühlen oder auch Steffi Weismanns Passage (2008).
Ein ebenfalls räumlich extremes Stück aus dem Bereich „Musiktheater“ ist das 2001 für die Maulwerker komponierte auch nicht eigentlich mehr oder vielleicht sogar gar nicht von Andrea Neumann, in dem sich sieben Spieler in einer Hängevorrichtung befinden und den Raum nach einem Koordinatensystem auch in der Vertikalen durchlaufen.

HÖRRÄUME

Eine zusätzliche räumliche Komponente in der Musik der Maulwerker zeigt sich in ihren zahlreichen Studioarbeiten, die von den Hör- und Raumerfahrungen der Raumkompositionen geprägt sind. Als Wechselwirkung beeinflusst die Radioarbeit wiederum die live-kompositorische in der Schaffung unterschiedlicher musikalischer Räume.
Sven-Åke Johansson schickt in Stereo für 8 einzelne Wörter durch das Stereo-Panorama von acht in der gesamten Bühnenbreite stehenden Sprechern. Im Programm SPEAKERS wird die Markierung unterschiedlicher akustischer Räume durch Live-Vokalisten und Lautsprecher zum Thema eines gesamten Abends.